25. Juni 2015

Auch Veganer dürfen Fertigprodukte essen - eine Antwort an Sarah Wiener

Diese Woche wurde ein Interview einer bekannten TV-Köchin, Sarah Wiener, veröffentlicht.* Wie schon so viele Köche vor ihr betreibt sie den momentanen Volkssport: Veganer-Bashing. Das an sich ist nicht besonders verwunderlich, und normalerweise lese ich diese Interviews auch gar nicht - was eher daran liegt, dass mich mehr oder weniger prominente Personen meistens einfach nicht interessieren. Dieser Artikel ist aber bis zu mir durchgedrungen, und er hat mich aus einem Grund besonders geärgert. Im Artikel steckt uns die Autorin, die TV-Köchin, nämlich ihren mehr oder weniger prominenten Finger direkt ins vegane Gesichtchen und speit uns ein grantiges "Ihr seid eh auch nicht besser!" entgegen. 

Die Strategie ist bei weitem nicht neu. Makel an anderen zu suchen, um sich selbst besser zu fühlen, das beherrschen bereits hormongesteuerte Teenager bis zur Perfektion. Und wer hat nicht im Laufe seiner veganen Karriere schon ein vorwurfsvolles "Deine Schuhe sind doch auch Leder, oder?", "Wegen Tofu wird der Regenwald abgeholzt" oder ein "Kühe platzen aber, wenn man sie nicht melkt" gehört. Genau wie diese vermeintlichen Verfehlungen entbehrt auch die Kritik der TV-Köchin jeder Grundlage und vor allem Logik. 

In ihrem Artikel stürzt sie sich nach einem kurzen Ausflug in die Welt der modernen Fleischproduktion gleich auf die bösen, bösen Veganer. Denn Veganer sind die eigentlichen Übeltäter: Anstatt vom Nachbarn totgestreicheltes Fleisch zu essen, was so anständig und regional und saisonal wäre, erdreisten sich diese schlimmen Übeltäter, sich gelegentlich mal eine vegane Bratwurst oder etwas Tofu oder einen Schluck Sojamilch zu gönnen (und  mit Sojamilch hat sie ein besonderes Problem, die ist ihrer Meinung nach die Ausgeburt allen Übels auf dieser Welt). Und die TV-Köchin wirft uns dann vor, dass wir uns in einer Parallelwelt gegenseitig auf die Schulter klopfen, während wir blind vegane Produkte konsumieren, denn "diese lassen Böden erodieren, versauen das Klima und vergiften das Wasser". Der einzige Weg, unsere Welt noch zu retten - nun, den weiß natürlich nur die TV-Köchin. Saisonal und regional und natürlich Fleisch! Aber lieb totgemacht, gell?

Ich weiß nicht, woher diese Abscheu gegen vegane Produkte kommt. Und eigentlich möchte ich auch gar nicht weiter aus dem Artikel zitieren. Eigentlich wollte ich nur eines klar stellen: Auch Veganer dürfen gelegentlich Fertigprodukte essen. Wer ständig auf seinem Selbstversorger-Hof im Hochbeet stochern kann, der hat es sehr gut, aber es gibt auch andere Leute, die Bürojobs haben und einen Haushalt und Familie und Hobbies und keinen Garten. Und es ist absolut nichts Verwerfliches daran, sich gelegentlich ein Sojaschnitzel zu braten oder die Semmel mit veganem Leberkäse zu belegen. Diese Produkte sind sicherlich nicht so gut wie die am selbstversorgenden Hof im Hochbeet selbstgezogene Tomate, aber... nein, ich wiederhole mich jetzt nicht. Eine vegane Wurst ist aber sicherlich in jeder Hinsicht wesentlich besser als eine Wurst aus Tieren - egal, ob wir nun von Umweltschutz oder Tierschutz sprechen. Dass der Mythos vom guten totgekuschelten Bio-Tier auch noch von ihr geschürt wird, das verwundert wenig. Aber er ist genau das: Ein Mythos. Auch sogenannte artgerechte Haltung endet mit einem gewaltsamen Tod, und der Anteil an Bio-Fleisch am Markt ist extrem gering - eine schöne Gute-Nacht-Geschichte also, aber nichts, was der Wahrheit entspricht.

Ich kenne viele Veganer und Veganerinnen, und dass wir blinde Konsumopfer sind, das kann ich wirklich nicht behaupten. Die Zeiten, in denen endlos abgefeiert wird, nur weil die billigsten Billig-Chips jetzt vegan sind oder weil ein großer Schlachthof jetzt vegane Streichwurst anbietet - die hat es nie gegeben. Wer die vegane Community kennt, der weiß, dass hier auch viel gestritten wird, eben weil wir uns ständig in unserem Konsumverhalten herausfordern. Und wir tun das viel selbstkritischer als TV-Köchinnen, die am liebsten alle als Selbstversorger am Hochbeet stehend sehen wollen, was natürlich viel realistischer ist, als Leute zu ermuntern, mal eine vegane Wurst zu kaufen. Ich persönlich achte auch auf Bio- und Fairtrade-Produkte und kaufe am liebsten von veganen Firmen, die meine Überzeugungen teilen und entsprechend auf die Umwelt achten. Ich weiß, dass viele viele andere Veganer das auch tun, denn solche Firmen werden durch die vegane Community sehr stark gefördert.

Ich lasse mir den moralischen Finger nicht ins Gesicht stecken. Ich lasse mich auch nicht ins Eck der konsumgeilen Trendsetter stellen. Und schon gar nicht, wenn mich das Gefühl beschleicht, dass es hier nicht um eine offene Diskussion, sondern um einen billigen Publicity-Stunt geht.



*Und nein, ich werde den Artikel hier nicht verlinken...

20 Kommentare:

  1. Danke, Claudia. <3

    AntwortenLöschen
  2. Toller Beitrag, Claudia!
    Die Sarah Wiener ist mir schon vor meiner veganen Zeit unsympathisch gewesen.
    Und es tut mir sehr leid, wenn ich sie aufgrund meiner veganen Lebensweise persönlich beleidige, kränke oder verletze.

    Lg Martina

    AntwortenLöschen
  3. liebe Claudia, bei allem hin- und her "bashing" hast du einen wichtigen Teil ihres Resümees nicht erwähnt. ich finde es ja auch toll dass es immer mehr industriell hergestellte Produkte gibt. aber diese sind wirklich nicht so toll wie sie sein wollen, zumal die Preise meist einfach nur unverschämt sind. da verdient es sich offensichtlich zu leicht zu gut. das ist wirklich schamlos, wie hier der gute Wille der Veganer zum Geld herausschlagen missbraucht wird. und momentan hat sie leider recht, die Welt verändern wir noch lang nicht. da muss noch sehr, sehr viel Gras wachsen. und ihr Resümee lautete ja: selbst kochen mit natürlichen Zutaten. das ist eben einfach das beste für unsere Gesundheit. und regional einkaufen ist natürlich auch besser als Obst und Gemüse aus Peru zu importieren. Da es aber trotzdem gekauft wird und auch weiterhin Fleisch in Massen konsumiert wird (ich denke nur an die geschätzten 300m2 Verkaufsfläche für Variationen von Fleisch, Wurst, noch mehr Fleisch und noch mehr Wurst in unseren Supermarkt. ) bleibt uns nur mit gutem Gewissen und noch wichtiger gutem Vorbild voran zu gehen. aus der Perspektive finde ich Deinen Text etwas übertrieben, das haben wir doch gar nicht nötig oder?
    PS: ich bin schon ein paar Jahre hier Followet und wir haben schon so einiges totally veg-gefuttert ;)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ob übertrieben oder nicht, das darf jeder ja selber entscheiden - ich für meinen Teil finde ihn angebracht. Danke für's Mitlesen!

      Löschen
  4. Danke, Claudia. :) Du schreibst das nieder, was ich die ganze Zeit beim Lesen des Artikels von Sarah Wiener dachte.

    Viele liebe Grüße,
    Erbse

    AntwortenLöschen
  5. Sehr schön geschrieben, bin ganz deiner Meinung.

    AntwortenLöschen
  6. Habe aus Neugier das Interview gerade mal nachgelesen - sooo schlimm finde ich es gar nicht. Aber es ist schon ziemlich undifferenziert, denn wie du schon sagst, machen sich viele Veganer sehr wohl Gedanken um Regionalität und Saisonalität. Dass sie diverse vegane Ersatzprodukte stark kritisiert, kann ich zwar teilweise durchaus nachvollziehen, aber das gießt nur Öl in ein Feuer, das ohnehin schon genug lodert.

    AntwortenLöschen
  7. Danke! :-)

    Dieses "Vegan-Bashing" von irgendwelchen Promis oder sonst wem interessiert mich eigentlich auch nicht, die sollen machen was sie wollen, aus mir macht keiner mehr einen Omni ;-) - das einzige nervige dabei ist nur, dass bei sowas ein paar Leute aus der Umgebung denken, sie hätten jetzt noch mehr / neue "Munition", die sie sofort einsetzen müssen.

    AntwortenLöschen
  8. Ich habe dem nichts hinzu zu fügen. Auf den Punkt gebracht!
    Es grüßt die Billa

    AntwortenLöschen
  9. Sehr schön geschrieben, bin ganz deiner Meinung.

    AntwortenLöschen
  10. Sehr gut getextet!!! Ich fand den Artikel auch EXTREM seltsam. Überall gibt es Fertigprodukte und das schon ewig, bevor vegane Alternativen geschaffen wurden. Als würde man sich nur aus der Tüte ernähren... Nee, sie hätte von mir aus ruhig gegen das fertige Zeug wettern können, aber die Überschrift geht gar nicht. Nun ist sie wieder im Gespräch, war das etwa ihr Ziel?! Ich persönlich finde Exteme nie gut. Genauso wenig andere in den Dreck ziehen und verleumden. Gedanken machen, mit seinem persönlichen Beitrag für mehr Gerechtigkeit sorgen und anderen ein gutes Beispiel sein, schon.

    AntwortenLöschen
  11. Danke für diesen Artikel. Ich kenne den von Sarah Wiener nicht, aber Du sprichst wichtige Punkte an, zum Beispiel dass eben nicht jede_r beim Essen immer viel Zeit investieren möchte/kann. In der idealen Welt, in der Sarah Wiener lebt, leben viele andere nicht. Ich finde es auch sehr kurios, dass immer die "ihr Veganer seid auch nicht besser" karte gezogen wird und dann wird von Regenwaldsoja gesprochen. Dabei kommt das Soja in meinem Tofu oder auch in meiner Tofuwurst, die ich ebenfalls gerne esse, aus Europa, zum Beispiel auch aus Sarah Wieners Heimatland. das ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, am Ende spricht bei den meisten, die uns irgendwie am moralischen Schlafittchen packen wollen, doch das schlechte Gewissen. Und dann holen sie gleich zur moralischen Gegenattacke aus.

    AntwortenLöschen
  12. Übrigens, um statt auf Hausverstandsniveau der Frau Wiener lieber mit wissenschaftlich belegten Fakten zu argumentieren (auch ganz ohne moralische Keule): Jede vernünftige Ökobilanzierung, die vor allem auch den Flächenverbrauch miteinbezieht, kommt auf das Ergebnis, dass vegane Produkte IMMER umweltfreundlicher sind als vergleichbare tierliche Produkte. Verglichen z. B. Diss von Kurt Schmidinger - wo er z. B: Sojamlich mit Kuhmilch vergleicht http://futurefood.org/DissertationSchmidinger.pdf

    AntwortenLöschen
  13. Liebe Claudia,
    vielen Dank für deinen tollen Beitrag. Du schreibst mir wahrlich aus der Seele. Ich finde auch überhaupt nichts Verwerfliches daran, wenn man sich hin und wieder ein Tofu-Würstchen, ein Tempeh-Steak oder Sojageschnetzeltes gönnt. Damit ist man sicherlich nicht mitverantwortlich für den Klimawandel und die Umweltverschmutzung, denn allein schon rund 90 Prozent des angebauten Sojas geht für Tierfutter drauf.

    Schade, dass immer wieder bekannte Leute an die Presse treten und die Lebensweise von Veganern in den Dreck ziehen. Diese ständige Rechtfertigung der "Fleischfresser" geht mir allmählich auf den Keks.

    AntwortenLöschen
  14. Sehr recht hast du! Ich lese solche Interviews eigentlich nie. Auch dieses nicht. Schließlich hab ich keine Lust mich aufzuregen. Wir wissen, warum wir vegan leben und ich denke auch, dass die meisten Veganer sich sehr gezielt mich Ernährung befassen und damit wo die Lebensmittel herkommen. Schade nur, dass solche Hetzkampanien bei vielen Leuten im Gedächtnis hängen bleiben bzw. viele auf den Zug aufspringen, weil sie sich dann besser fühlen und mit gutem Gewissen Fleisch essen. Wenn das doch die Sarah Wiener sagt ;-) Ich mache gerade Urlaub auf La Palma und natürlich achte ich auch im Urlaub darauf möglichst viel frisches zu kaufen. Macht hier auch richtig Spaß, weil es ganz viel Obst und Gemüse direkt von der Insel gibt. Und ja, Sojamilch hab ich mir im Supermarkt auch gekauft. Ein schlechtes Gewissen habe ich jetzt aber sicher nicht! LG Heike

    AntwortenLöschen
  15. Danke für diesen Artikel :)
    In meinem Umfeld gibt es keinen einzigen anderen Veganer
    ...ich lasse die anderen in Ruhe, wenn neben mir getötetes gegessen wird. Trotzdem werde ich aber immer wieder wegen Nährstoffmangel, Gutmensch-Sein, Unverantwortlichkeit, etc. genervt ...und das bisher noch immer, ohne dass die Kritiker sich selber mal die Mühe gemacht hätten, sich vorher zu informieren ...und ohne, dass die Kritiker selbst versuchen sich gesund und umweltbewusst zu ernähren ...wenn ich mir aber mal einen Schokokeks gönne, werde ich teilweise echt aggressiv angegriffen, weil jetzt plötzlich ein vermeintlich echter Grund da ist auf mich loszugehen.
    Nachdem ich schon gesehen habe, wie Leute die dauernd Fleisch essen (sogar als Snack zwischendurch) sich schwer damit tun, ein Tier umzubringen (und das meistens auch nicht schaffen), denke ich, dass sie verdrängen müssen, um Fleisch zu essen. Veganer erinnern sie daran, dass man auch anders kann. Und damit ihr positives Selbstbild intakt bleibt, ohne dass sie etwas tun müssten, gehen sie auf den Augen-Öffner los.

    AntwortenLöschen

Ich freue mich immer sehr, von Euch zu hören! Vorschläge, Ideen, Lob, eine andere Meinung (respektvoll, please) - immer her damit!

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...